Mein Name ist Lütfü, das heißt der Gütige, der hilfsbereite.

Schwarzweiß Foto Lütfu

Ein seltener Name, ich weiß. Niemand hier in Deutschland konnte sich meinen Namen merken. Jaja, die türkische Sprache, die mit den vielen Üs.

Seit 50 Jahren lebe ich in Deutschland, habe aber keinen deutschen Pass. Ich habe nie einen beantragt. Wollte ich nie. Ich bin Türke. Natürlich habe ich eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Vielleicht gibt es ja bald eine doppelte Staatsangehörigkeit wie in vielen anderen Ländern in Europa. Das würde ich machen.

In Istanbul habe ich auf der Wirtschaftsschule Banker gelernt. Das Geld dafür habe ich mit dem Verkauf von Blumen verdient, immer nach der Schule.

Lutfü als Blumenverkäufer

Aber als ich hier ankam, 1969, haben sie mich in die Gießerei gesteckt. Bei Kloth Senking in Hildesheim. Schwarzen Sand schaufeln. Aber dann habe ich ein Jahr als Handgußformer gearbeitet. Da braucht man Geschick und eine ruhige Hand, rechts wie links. Ich schreibe ja auch rechts wie links. Wie ich will. Und schieße Tore rechts wie links. Früher natürlich.

Aber der Traum war VW. Da wollte ich unbedingt hin. 1000 Mark. In der Gießerei nur 550. Wenn man selbst kündigt, kann man sofort ausgewiesen werden. Aber dann habe ich mich doch getraut, einfach bei VW anzufragen. Die haben mich sofort genommen. Obwohl ich Angst auch hatte. Aber es hat geklappt. Dann kam ich in den Rohbau, habe am Band Autos verschweißt, den Kofferraumdeckel ans Auto. 10 Jahre.

Meine Frau konnte endlich zu Hause bleiben, darauf war ich sehr stolz! Zwei Kinder kamen zur Welt, in der Volkshochschule habe ich Deutsch gelernt,

Gruppenfoto im Bildungsurlaub

dann den Führerschein gemacht. Alles Abends nach der Arbeit. Nach Deutschland bin ich ja gegangen, um Geld zu verdienen, aber auch, um was zu lernen!

Bei VW bin ich in die IG Metall eingetreten, wurde dann bald Vertrauensmann meiner Landsleute.

Vertrauenleute bei VW

Und von 1980 bis 2002 bis zur Rente war ich im Betriebsrat. Zuerst im Kantinenausschuss. Immerhin konnten wir schon mal durchsetzen, dass es gekennzeichnet wurde, wenn Schwein angeboten wurde. Dann im Sozialausschuss, zuständig für „Gruppenspezifische Probleme der Ausländer.“ Das waren in erster Linie Sprachschwierigkeiten, soziale Probleme aller Art und vor allem Mobbing am Arbeitsplatz. Schon in den achtzigern hieß es bei der IG Metall: Mach meinen Kumpel nicht an, die Gelbe Hand. Und dann kam ich in den Personalausschuss, auch zuständig für Einstellungen und Entlassungen. Wir konnten vielen Kollegen helfen.

Der, der das hier aufgeschrieben hat, hat mich gefragt, welche Erfahrungen ich mit herablassenden Anfeindungen gemacht habe. Ich habe ihm geantwortet, dass ich darüber nicht sprechen möchte. Wer will schon gerne Opfer sein.

VW war ein sehr sozialer Arbeitgeber. In dieser Zeit entstand die Idee, sich mehr sozial zu engagieren, auch in meiner Freizeit, ehrenamtlich. So haben ich und meine Freunde und Kollegen Spenden gesammelt für die Erdbebenopfer von Erzincan. Wir haben eine Gesellschaft gegründet, um türkische Familien mit behinderten Kindern zu unterstützen, auch Aufklärung betrieben. Herbert Schmalstieg war sogar unser Schirmherr. Für Bedürftige und Behinderte und auch mit Unterstützung einer Krankenkasse wurden so ausrangierte Rollstühle in die Türkei zum „Türkischen Halbmond“ geschickt, auch direkt an Bedürftige.

Rollstühle für den türkischen Halbmond

Und heute noch bin ich Ehrenvorsitzender von „Türkei Sport Garbsen“ mit Spielern aus vielen Ländern.

Türkeisport Garbsen

Als Rentner jetzt sitze ich im türkischen Café bei Mehmet am Marktplatz in Garbsen. Und die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen kommen mit ihren Fragen und Sorgen und ich helfe beim Übersetzen von Behördenschreiben, gehe mit zum Arzt und zum Amt. Neulich hat einer sein Portmonnee verloren mit vielen Karten drin. Da haben wir jede Menge Briefe geschrieben und telefoniert.

Als ich die Türkei verließ vor 50 Jahren, musste ich meine Katze zurücklassen. Heute habe ich 4 Katzen und singe im türkischen Chor.

Chor auf der Bühne