Die Interviews
Kübra
Auch ich habe Fragen gestellt an Ali Dede, Lütfü Dede und Mehmet Dede. Diese zum Beispiel:
Ali Dede, was ist dir in Deutschland aufgefallen, als du ankamst?
Die trinken hier kein Wasser, nur Bier
Ömer Dede, wo gibt es den besten Döner in Hannover?
in Atas Kebab Haus an der Schulenburger Landstraße, er macht noch die Spieße selber, helal
Ali Dede, wie bist du in Deutschland empfangen worden?
Auf dem roten Teppich, mit Nationalhymne
Lütfü Dede, wie ist es alt zu sein?
Alt sind die anderen, ich doch nicht!
Ali Dede, hast du einen Tipp, wie man hundert Jahre alt wird?
Ich spiele jeden Tag eine halbe Stunde supermario
Lütfü Dede, was rätst du deinen Enkeln?
Biri senin hakkında iyi düşünüyorsa, onu doğru yapmak için çaba göster! Wenn jemand Gutes von dir denkt, dann bemühe dich, dass er recht hat!
Ömer Dede, lebts du in einer Parallelgesellschaft?
Ich lebe in Linden Süd. Die reichen Leute im Zooviertel leben in einer Parallelgesellschaft
Lütfü Dede wer hat zu Hause das Sagen, du oder deine Frau Fatma?
Meine Frau sagt: ich
Ali Dede, warum hast du deine Söhne zu Machos erzogen.
♪♪♪
Lütfü Dede, wie wird man 100 Jahre alt
Ich esse jeden Abend 7 Teelöffel Nutella, ohne Brot.
Ömer Dede, was rätst du deinen Enkeln?
Jede Generation vergisst, was die Vorangegangene geleistet hat
Lütfü Dede, hast du schon mal einen Burn out gehabt?
Was ist das?
Lütfü Dede, gib uns einen Rat
Acele giden ecele giden yol alir. Wer sich immer beeilt, geht schneller in den Tod.
Ali Dede, wo ist deine Heimat
Heimat ist kein Ort, sondern eine Sehnsucht
Ömer Dede, träumst du von der Türkei oder eher von Deutschland?
Der Körper lebt hier, aber die Gedanken sind türkisch. Mein Onkel erzählte mir, erst wenn du von diesem Land träumst, hast du dich dran gewöhnt. Er lebte seit fünfundvierzig Jahren hier und hatte noch nie von Deutschland geträumt. Ich träumte das erste Mal von Deutschland, als meine Kinder geboren wurden. Ich wusste, nun gehören sie und ich hierher.
Lütfü Dede, was räts du deinen Enkeln
Passt euch nicht an. Anpassung ist für Menschen ohne Ideen.
Ali M.
26 Jahre habe ich hier in Deutschland gearbeitet, erst in der Gießerei Buderus in Gießen, - Eisen rein in den Ofen, Asche raus – und dann bei VW in Hannover, im Presswerk am Band. Ich hatte hier in Hannover Verwandte, deswegen bin 1969 hierher gekommen.
Meine Rente ist okay, ich habe keine Probleme,
Wie wird man hundert Jahre alt? Ganz einfach: Gemüse essen, keinen Alkohol, naja, mal ein paar Bier, Zigarette: ja, klar. Spazieren gehen.
Ich freue mich über meine Enkel. Und die sich auf mich. Ich kaufe ihnen immer die Sachen, die die Eltern nicht kaufen.
Ich habe zwei Länder.
Ali S., * 1933
Als der, der das hier aufgeschrieben hat, mich gefragt hat, ob er mit mir über meine Zeit in Deutschland sprechen kann, habe ich gesagt, dass ich lieber in Ruhe gelassen werden möchte. Wen geht das an? Wer interessiert sich dafür? Und warum? Darüber kamen wir ins Gespräch. Und dann habe ich ihm dieses erzählt:
Mein Name ist Ali. Ali ist der Name des Enkelsohns Mohammed, ein heiliger Name bei uns Aleviten. Deswegen wurde ich so genannt.
Lange habe ich darauf gewartet, nach Deutschland zu kommen. Immer wieder bin ich in Pülümür zum Arbeitsamt gegangen und immer wieder hieß es: du bist noch nicht dran, noch nicht an der Reihe. Ich war schon 28 und meine Freunde kamen aus Deutschland zurück im Urlaub und trugen Krawatte. Da hörte ich mal, dass der Direktor der Zuckerfabrik, in der ich arbeitete, der Cousin des Direktors des Arbeitsamtes war.
Ich ging zu ihm, gab den Handkuss und fragte, ob er mir helfen könnte. 4 Wochen später erhielt ich einen Brief mit einer Arbeitserlaubnis in Deutschland.
Ich packte meinen alten Holzkoffer, darin Klamotten und was zu essen: Brot, Weintrauben und Käse. Meine Mutter gab mir noch diesen Teller mit, das blaue Auge sollte mich vor Bösem schützen. Bis heute hat das geklappt.
Als wir nach 3 Tagen Zugfahrt von Istanbul nach Füssen am Bahnhof dort von Leuten von der Firma abgeholt wurden, gab es in einem Gasthaus ein halbes Hähnchen mit Pommes. Wir waren richtig ausgehungert und es schmeckte sehr gut, mir und meinem Freund Micael. Ich weiß es noch wie heute, es war der 12. April 1969.
Am nächsten Tag habe ich angefangen auf dem Bau zu arbeiten und nach 3 Tagen sagte mein Capo, der Vorarbeiter, ich müsse in die Kanalisation. In meinem Overall aus dickem Gummi stand ich dann in der Scheiße. Bis unter die Achseln, rechts und links, floss sie an mir vorbei. Und ich habe den ganzen Plastikmüll rausfischen müssen, der in die Kanalisation gelangt war und immer wieder alles verstopfte.
8 Monate habe ich dort unten gearbeitet, 9 Kilo habe ich in dieser Zeit abgenommen. Als mein Kollege, der auf dem Bau arbeitete, meinen Lohnzettel sah, 1300 Mark, ging er wütend zum Capo und sagte, warum kriegt Ali 1300 Mark und ich nur 850? Da sagt der Capo: willst du diese Arbeit da unten in der Kanalisation machen? Nein, sagte mein Kollege, Ich bin doch nicht doof! Doch, sagte Manfred, der Capo. Ich weiß nicht mehr wie er hieß, dieser Kollege. Wenig später wurde er entlassen. In Lehrte habe ich dann bei Kali und Salz angefangen, erst als Rangierer und dann als Lokführer.
Hier in Hannover hatte ich Verwandte und Freunde, hier kannte ich wenigstens wen. In Füssen war ich alleine. 26 Jahre habe ich Dünger und Salz nach Peine transportiert. Auch nachts, manchmal ganz alleine.
Manchmal 19 Stunden eine Schicht. Für die Spätschicht gab es eine Zulage, 154 Mark die Woche. Zwei Mal habe ich Tote gesehen, nachts, an den Bahngleisen. Einmal eine im Graben daneben. Da habe ich mir Gummistiefel angezogen, sie rausgezogen und dann die Polizei angerufen.
Ich habe dort sehr gerne gearbeitet, ich war anerkannt und hatte freundliche Kollegen. Mit Rudi Kurbjuweit und Günther Neumann telefoniere ich ab und an und wir gehen Kegeln und trinken Bier. Wie Verwandte. So habe ich auch Deutsch gelernt, immer und immer wieder gefragt, bis ich es verstanden habe und sagen konnte.
Heute im Alter geht es mir gut. Obwohl ich alleine bin. Ich habe ja meinen Garten Dort gibt es Kartoffeln und Zwiebeln und Obstbäume und Minze. Sich um den Garten zu kümmern hält fit. Ich habe 4 Kinder und 5 Enkel. Immer wenn ich sie besuche, sagt mein Enkel mit dem Ball unterm Arm: Opa komm spielen.
An meinen Opa kann ich mich kaum noch erinnern. Er war blind. Und wenn ich ihn besuchte, sagte er: Wie sieht mein Enkel aus? Und dann beschrieb man mich: Alles dran, hübsche Augen, schlanke Gestalt, dunkle Haare. Und dann war er zufrieden.
Altersheim? Bloß nicht. Am liebsten möchte ich einfach so sterben. Zu Hause in Lehrte.
Morgens esse ich 3 Scheiben Brot, Gurke und Tomate, auch Käse und Salami. Dann gehe ich einkaufen. Ich koche gerne. Nachmittags fahre ich mit dem Zug nach Hannover in die Alevitische Gemeinde. Dort spiele ich Karten, wir diskutieren über Politik. Fußball interessiert mich nicht. Wir spielen Backgammon oder 51.
Abends schaue ich fern, gerne schöne Filme, die in Deutsch. Politische Sendungen lieber auf Türkisch. Nasil yasarsan öyle ölürsün. Wie du lebst, so stirbst du.
Cevdet, *
Man sagt, dass die Sprache auch eine Heimat ist. Die deutsche Sprache aber ist schwer zu lernen.
Meine erste Arbeitsstelle in Deutschland war in Hannover Elektro-Mayer, Bauweg. Heute ist da SB-Möbel. 1972 bis 1976 habe ich da gearbeitet. Bald ist das 50 Jahre her. Herr Mayer bot mir damals an, 1 Tag in der Woche in die Schule zu gehen. Die war in der Nieschlagstraße. Aber nach einem halben Jahr machte die Schule zu. Man fand einfach keine Lehrer. Das wars dann. Später die schwere Arbeit als Schweißer, dann kleine Kinder, ich habe es einfach nicht geschafft. Wer in einem fremden Land arbeiten will, sollte als erstes die Sprache lernen! Heute weiß man das besser.
Heinrich Mayer von Elektro Mayer war ein guter Chef. Mehrmals hat er uns zum Essen eingeladen, nicht nur zu Weihnachten. Er war in der CDU, was Wichtiges. Der Ministerpräsident Albrecht hat die Firma mehrfach besucht. Und mir einmal die Hand gegeben. Politisch verband uns aber schon damals nicht viel. Der Monatslohn bei Elekro Mayer war einfach zu wenig. Aber meine Arbeitserlaubnis war an diese Firma gebunden. Später bin ich dann doch zu Telefunken gegangen, Fernsehgeräte am Fließband montieren. Bei Telefunken arbeiteten damals 8000 Menschen!
Aber mein Traum war VW! Alle redeten immer von VW! Ab 1978 arbeitete ich dann dort, 30 Jahre! Meistens am Fließband, Innenverkleidungen in die Autos montieren, verschrauben und verkleben. Später habe ich dann Kabelstränge sortiert, montiert, verlegt und verbunden. Wir waren eine Gruppe, halfen einander und wechselten uns ab. Das war wie eine Familie. Wir trafen uns auch noch als Rentner. Letzten Weihnachten waren wir nur noch 5 .
Ich wäre auch gerne in der Gewerkschaft aktiver gewesen, aber auch hier die Sprachprobleme. Immerhin hatten wir einen engagierten türkischen Betriebsrat, Nimet Gökce.
Meine Söhne – beiden arbeiten auch bei VW, Firat als Messtechniker, Ümran als technischer Zeichner, - sprechen deutsch und türkisch, meine Enkel nur noch Deutsch und wenig türkisch, ich Türkisch und weniger deutsch. Der, der das hier aufgeschrieben hat, hat mir gesagt, dass er mich aber gut versteht. Geht also irgendwie. Nur als ich erzählte, dass ich früher mal Pandemie gemacht hatte, verstand er es nicht. Dann fragte er, ob ich Pantomime meinte. Hatte ich doch gesagt.
Ich glaube ich bin ein guter Opa. Meine Enkel Milas und Dalyan freuen sich auf mich und ich kann den jungen Familien gut helfen beim Aufpassen. Es ist eine Selbstverständlichkeit und manchmal auch Pflicht, aber eine schöne. Ich wäre gerne Lehrer geworden, aber nach der Grundschule auf dem Dorf war die nächste weiterführende Schule 40 km entfernt, die Eltern waren arm und da blieb nur die Feldarbeit und die Tabakernte.
Cevdet heiße ich nach einem berühmten General, denn mein Vater war Soldat. An meinen Vater erinnere ich mich gerne. Er konnte manchmal lospoltern, war aber mehr wie ein Freund für mich.
Ich wohne mit meiner Frau Zehra in Linden in einem Haus mit mehreren Wohnungen, ja, alles Eigentumswohnungen. Neben mir wohnen zwei Brüder von mir, weiter oben im 3. Stock zwei Schwestern, dazwischen meine alte Mutter. Alle kümmern sich um sie.
Meine Schwestern haben schon als Kind auf mich aufgepasst und wohnen jetzt also über mir.
Auf mein Leben im Alter habe ich mich gut vorbereitet. Heiraten, Kinder kriegen, ein Haus kaufen, zwei Lebensversicherungen für die Rente, sich im Urlaub immer gut ausruhen, nicht rauchen. Wichtig sind Hobbys. Als ich noch jünger war, war ich Fußballspieler beim TuS Ricklingen, später dann auch Trainer ein paar Jahre. Und ich bin Schalke-Fan! Der, der das hier aufgeschrieben hat, hat erstaunt gekuckt, als ich das erwähnte. Ich will die Geschichte erzählen.
Ich war mal an einem Sonntag am Bahnhof in Hannover, um mir eine türkische Zeitung zu kaufen. In dem Gedränge waren viele Schalke-Fans. Damals war Hannover noch in der ersten Liga. Ein paar junge Leute von denen hakten mich einfach unter, sagten, sie hätten eine Karte übrig und schleppten mich mit ins Stadion. Das war lustig. Heute noch kaufe ich mir manchmal eine Karte für Spiele in Gelsenkirchen und fahre ins Stadion dort, in die Veltins Arena. Mit Schal! Bestimmt ein paar Mal im Jahr!
Cumali Y.
Mein Name ist Cumali, Cuma wie Freitag und Ali, wie der erstgeborene Enkelsohn Mohammeds. Das ist ein Doppelname, so wie Karl Heinz oder Jens Uwe. Meine Mitschüler nannten mich Cokbilen, was so viel heißt wie Streber.
Heute bin ich 61 Jahre alt und lebe seit 40 Jahren in Deutschland. Zurück in die Türkei? Unmöglich. Wieso unmöglich? Hier in Deutschland habe ich Soziologie studiert und mein Studium mit dem Diplom abgeschlossen (türkisch und dann übersetzt) „Die Geschichte der Kurden bis zur Gründung der türkischen Republik“.
Ich engagiere mich politisch und bin als Journalist berufstätig. Ich ärgere mich über die jungen Türken der dritten Generation. Sie denken so nationalistisch und halten das für modern. Sie denken nicht nach. Ich bewundere Fathi Akin, weil er den Mut hatte, den Völkermord an den Armeniern in einem seiner Filme anzuprangern.
Ja, ich habe auch einen deutschen Pass. Ob ich Türke, Kurde oder Deutscher bin? Weiß nicht. Alles. Egal. Ja, ich bemühe mich um Anpassung. Türkisch spreche ich mit meiner Tochter Mira und im Traum und mit Landsleuten.
Ich spreche Deutsch, denke deutsch und höre gerne türkische Lieder, die sind so traurig, so zum Beispiel wie die von Zülfi Livaneli. Ich höre aber auch gerne Helene Fischer. Und gehe in Museen, zuletzt in das Sissi-Museum in Wien, Wussten Sie, dass Sissi von einem italienischen Anarchisten ermordet wurde, zufällig? Ich weiß nicht was das ist, integriert. Ich bringe immer den Müll runter und schaue am liebsten Talkshows, zum Beispiel Maischberger. Sie hat so eine schöne Stimme. Früher habe ich gerne die Filme mit Bud Spencer gesehen: zwong, baff, wrop, duff duff duff. Und den Tatort mit Schimanski.
Ich spiele Monopoly und hatte mal eine Katze. Ich kann gut Volleyball spielen, schwimmen und Börek machen. Geboren bin ich in Malaytia und ich bin natürlich nicht der erste aus dieser Stadt, der aus der Türkei nach Hannover gekommen ist. Auf dem Friedhofspark neben dem Conti-Hochhaus findet man einen Grabstein, auf dem steht:
Ich wohne nahe der Türkstraße in der Nordstadt. Ich bin Opa geworden. Mein Enkel heißt Bowie nach David Bowie. Ich denke zurzeit nicht daran, wie es ist, alt zu werden.
Halil
Nein, ich lebe jetzt seit 50 Jahren in Deutschland, habe aber keine deutschen Freunde oder Bekannte. Zwei Söhne habe ich, der eine arbeitet im Reisebüro und der andere ist Stahlbauer, wie ich, bei Krupp. Schwer verdientes Geld, sage ich Ihnen! Meine Enkelkinder heißen Erin, Frat, Risa und Hussein. Hoffentlich kommen die Jungen hier klar in Deutschland.
Ich bin jetzt 84 Jahre alt. In ein Altersheim würde ich nie gehen, nie im Leben! (!) ich habe ein Haus und Felder in der Türkei, und ein halbes Jahr lebe ich dort. Aber schon bald sehne ich mich nach meiner Familie hier in Hannover und wenn ich dann wieder hier bin, will ich bald wieder in die Türkei, nach Hause.
Oft gehe ich zu Karstadt nach Oben und schaue wer da ist im Restaurant, um einen Kaffee zu trinken. Aber es sterben ja alle so früh! Die Zigarette, die schwere Arbeit, vielleicht ja auch das Leben in einem fremden Land.
Integration? Ich lebe hier, aber ich lebe hier mein Leben.
Harun
Mein Großvater Yussuf war sehr religiös.
Er stand sogar nachts auf, um zu beten. Ich erinnere mich nur noch, dass er sehr streng war, ja autoritär. Aber er war sehr sozial, kümmerte sich um alle und alles, hatte 12 Kinder. Mein Vater Idris dagegen war wie ein Freund für mich. Er ist heute alt und lebt in der Türkei . Meine Schwester Hava Gül wird sich um ihn und um meine alte Mutter sorgen.
Ich werde hier versorgt vom Asylbewerberleistungsgesetz. Tagsüber besuche ich Deutschkurse. Und spiele Schach mit Freunden. Ich bin ein bisschen gut im Schach. Mein Sohn Melik studiert in Braunschweig Wirtschaftsinformatik, meine Tochter Mehlika geht noch zum Gymnasium. Ich koche für meine Familie, gerne Maklube.
Harun ist mein Name, wie der Bruder des Moses.
Seit 2016 lebe ich in Deutschland. Ich muss in Deutschland leben. Als Wirtschaftsjournalist einer großen türkischen Tageszeitung in Istanbul konnte ich nach dem Putsch meinen Beruf nicht mehr ausüben, auch nicht meine Frau Fatma ihren als Pädagogin. Aber ich konnte die Türkei mit meiner Familie verlassen. Viele Tausend meiner Kollegen und Freunde wurden verhaftet – und Schlimmeres.
Ein türkischer Häftling fragt nach einem bestimmten Buch. Das haben wir nicht in der Bibliothek, erwidert der Gefängniswärter. Aber den Autor haben wir hier.
Die Türkei hat mich sehr verletzt. Ich war, ich bin wütend und enttäuscht. So kannte ich mich gar nicht, meiner Heimat so fremd.
Wer gegen die Menschlichkeit ist, hat niemals recht.
Hasan Y. *1945
In meinem Pass steht, dass ich heute 75 Jahre alt bin. In Wirklichkeit bin ich zwei Jahre jünger. Mein Vater hat damals geschummelt, als er mich angemeldet hat im Meldeamt. Dann hat man es beim Militär leichter, weil man älter ist. Bei den Mädchen wurde das andersrum gemacht, wegen dem Heiratsalter. Wie viele andere ebenfalls.
1971 bin ich dann nach Deutschland, aus politischen Gründen. Ich wollte einfach keine Probleme bekommen, und der Weg nach Deutschland war einfach. In der Türkei hatte ich die Technikerschule in Trabzon besucht und konnte gleich in Braunschweig als Dreher und Fräser bei Siemens arbeiten, bis zur Rente. Wenn was weh tut, weiß ich woher das kommt. Viele Jahre war ich auch Mitglied im Betriebsrat dort, habe mich vor allem um die Belange der ausländischen Kollegen gekümmert. Und natürlich brav SPD gewählt, wie auch die GHP in der Türkei. Das war Tradition in der Familie.
Heute lebe ich ein ruhiges und zufriedenes Rentnerleben in Peine mit meiner geliebten Frau Nermin, Schneiderin von Beruf. Sie kümmert sich um den Haushalt, ich bin handwerklich geschickt und kümmere mich um unser kleines Haus. Nur wenn es Fisch gibt, bin ich der Fischkoch, ob gebraten, gegrillt, gedünstet oder gekocht. Sehr gerne passe ich auf meine Enkel auf. Und am Abend, wenn der Fernseher läuft, lese ich Bücher. Historisches, Sachbücher meistens.
Die, die das hier aufgeschrieben hat, hat mich gefragt, ob ich mal dran gedacht habe, in die Türkei zurückzugehen. Das fragen mich eigentlich immer alle, als wenn sie wollten, dass ich zurückgehe.
In den 80er und 90er Jahren haben wir oft daran gedacht, zurück zu gehen. Es war immer eine Option. Die Anschläge in Solingen haben uns erschrocken. Aber auch die politischen Verhältnisse in der Türkei besserten sich nicht, Machtwechsel, Chaos, Militärputsche, Repressionen. Man machte sich ständig Sorgen um seine Angehörigen dort und war hin- und hergerissen. Insanin vatani dogdugu yer degil, doydugu yerdir , Heimat ist nicht da, wo man geboren ist, sondern da, wo man satt wird.
Hussein T., *1928
Wenn ich an die Türkei denke, so bin ich wütend und verzweifelt. Mit der Wirtschaft geht es bergab und das Land ist gespalten, in dafür und dagegen.
49 Jahre lebe ich jetzt in Deutschland. Wenn man mich fragt, ich bin Kurde.
Ich bin alleine gekommen. Ein Bruder von mir lebte in Gelsenkirchen, so wusste ich schon einiges. In Istanbul habe ich als Schweißer gearbeitet, dann hier als Fabrikarbeiter in der Nienburger Glashütte. Es war immer laut, sehr laut dort. Meine Tochter arbeitet noch bei Conti, sie heißt Gülnaz.
Ich habe noch ein Haus in der Türkei, und im Winter bin ich lange dort. So lebe ich halb hier, halb da. Es ist komisch. Früher, als ich im Urlaub wie jedes Jahr in der Türkei war, haben die zu Hause da, meine Freunde dort und meine Familie aufgezogen. Du isst jetzt Schweinefleisch, du lebst ungläubig. Du bist anders. Aber sie waren bestimmt auch neidisch. Ich habe auch Geld nach Hause geschickt, nicht viel aber auch nicht wenig. Freiwillig, hätte ich nicht gemusst.
Bin ich Alter weiser und freundlicher geworden bin? Natürlich! Langweile ich mich jetzt ohne Arbeit? Natürlich! Mein größter Wunsch im Alter: Gesund bleiben! Natürlich
Tagsüber gehe ich einkaufen und spazieren, am Nachmittag zu den Aleviten, Karten spielen und am Abend schaue ich Tagesschau. Und Besiktas, das ist der Fußballverein der Kurden in Istanbul.
Ich bin integriert. Ich hätte nicht wie Özil…. Warum hat der das gemacht? Der gehört doch nach Deutschland.
Ismet C.
Man sagt, dass ich freundlich bin, und großzügig. Weil ich meiner Nichte die Hochzeit bezahlt habe. Eine türkische Hochzeit! Aber das ist doch selbstverständlich.
Im August 1973 bin ich aus dem Dorf Yesilbük bei der Stadt Erzincan nach Deutschland gekommen. Davor in der Türkei war ich Landwirt: Weizen und Zuckerrüben. Sonst gab es keine Arbeit dort. Da habe ich die Felder einfach so zurückgelassen, Verwandte haben sie übernommen.
Zuerst habe ich in der Gießerei Tweer in Bielefeld gearbeitet. Das war eine schwere Arbeit, die Hitze, die Haut verbrannt, den ganzen Tag mit Mund-Nasen-Schutz
Dann bei Opel Rüsselsheim am Band, da gab es gutes Geld. 1981 bin ich dann nach Hannover gekommen und habe bis zu meiner Rente bei Stahlhandel Salzgitter Stahl verladen. Auch eine schwere Arbeit.
Mein Körper weiß das noch.
Ich bin Türke, meine Kinder sind Türken und Deutsche - und meine Enkel sind deutsch. Und meine Enkelin ist bereits in einer Ausbildung zur Köchin. Sie lebt ihr eigenes Leben. Aber einmal in der Woche kommt sie zu Besuch. Und mit meinem Sohn Turgay telefoniere ich einmal am Tag. Er ist Inhaber einer Speditionsfirma. Alle kümmern sich um mich.
Jetzt bin ich alt und Rentner. Am liebsten sitze ich zusammen mit meinen Landsleuten im Gemeindehaus der Aleviten, spiele Karten und unterhalte mich. Und am Abend sitze ich mit meiner Frau Zennüre manchmal vor dem Fernseher. Ich schaue Fussball, Galatasaray. Als Kind schon mochte ich deren bunten Trikots. Ich rauche dann zu viel Zigaretten und meine Frau schimpft dann.
Und ich freue mich, wenn ich die Türkei fliege im Sommer. Mehrere Monate jedes Jahr. Das Leben dort ist so unbeschwert, man kann mit allen reden, die man trifft. Es ist alles so normal. Hier versteht man nicht alles.
Aber die Witze über uns Ausländer und die wenig freundlichen Bemerkungen bei der Arbeit habe ich gut verstanden.
Kübra
Ich heiße Kübra. Kübra, die starke, erfolgreiche. Meine Mutter hat mich so genannt. Meine Großmutter bestand aber auf einen zweiten Namen, Hatice, wie die erste Ehefrau des Propheten. Um die religiöse Tradition zu wahren.
Mein Opa Haci ist mit dem Anwerbeabkommen nach Deutschland gekommen. Ohne Not, eigentlich ging es ihm gut in der Türkei. Es war die reine Abenteuerlust. Und für mich eine Heldentat: wer traut sich schon, in ein fremdes Land mit einer fremden Sprache aufzubrechen. Er hat als ungelernter Arbeiter in einer Autowerkstatt gearbeitet bis zur Rente. Sein Sohn Salim, mein Vater, ist in der Türkei geboren, dann mit 13 hierhergekommen, in Deutschland Mechatroniker gelernt und fährt natürlich einen Audi Q5. Ich, seine Tochter, stehe kurz vor meinem Hochschulabschluss. Auch eine türkische Karriere.
Mein Opa und meine Oma Saniye leben mit meinen Eltern in einem Haus mit zwei Wohnungen. Gekocht und gegessen wird gemeinsam. Türkisch: Lamm, Gemüse, Teigwaren. Vor allem Teigwaren. Wenn ich mal am Wochenende meine Eltern besuche, koche ich zum Beispiel: Spargel. Muss sein.
Es ist selbstverständlich für meine Eltern, sich um Opa und Oma zu kümmern. Ein Altersheim wäre eine Katastrophe.
Wenn ich meine Schulfreunde bei denen zu Hause besucht habe, gab es da nie Großeltern.
Lütfü, C.
Mein Name ist Lütfü, das heißt der Gütige, der hilfsbereite.
Ein seltener Name, ich weiß. Niemand hier in Deutschland konnte sich meinen Namen merken. Jaja, die türkische Sprache, die mit den vielen Üs.
Seit 50 Jahren lebe ich in Deutschland, habe aber keinen deutschen Pass. Ich habe nie einen beantragt. Wollte ich nie. Ich bin Türke. Natürlich habe ich eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Vielleicht gibt es ja bald eine doppelte Staatsangehörigkeit wie in vielen anderen Ländern in Europa. Das würde ich machen.
In Istanbul habe ich auf der Wirtschaftsschule Banker gelernt. Das Geld dafür habe ich mit dem Verkauf von Blumen verdient, immer nach der Schule.
Aber als ich hier ankam, 1969, haben sie mich in die Gießerei gesteckt. Bei Kloth Senking in Hildesheim. Schwarzen Sand schaufeln. Aber dann habe ich ein Jahr als Handgußformer gearbeitet. Da braucht man Geschick und eine ruhige Hand, rechts wie links. Ich schreibe ja auch rechts wie links. Wie ich will. Und schieße Tore rechts wie links. Früher natürlich.
Aber der Traum war VW. Da wollte ich unbedingt hin. 1000 Mark. In der Gießerei nur 550. Wenn man selbst kündigt, kann man sofort ausgewiesen werden. Aber dann habe ich mich doch getraut, einfach bei VW anzufragen. Die haben mich sofort genommen. Obwohl ich Angst auch hatte. Aber es hat geklappt. Dann kam ich in den Rohbau, habe am Band Autos verschweißt, den Kofferraumdeckel ans Auto. 10 Jahre.
Meine Frau konnte endlich zu Hause bleiben, darauf war ich sehr stolz! Zwei Kinder kamen zur Welt, in der Volkshochschule habe ich Deutsch gelernt,
dann den Führerschein gemacht. Alles Abends nach der Arbeit. Nach Deutschland bin ich ja gegangen, um Geld zu verdienen, aber auch, um was zu lernen!
Bei VW bin ich in die IG Metall eingetreten, wurde dann bald Vertrauensmann meiner Landsleute.
Und von 1980 bis 2002 bis zur Rente war ich im Betriebsrat. Zuerst im Kantinenausschuss. Immerhin konnten wir schon mal durchsetzen, dass es gekennzeichnet wurde, wenn Schwein angeboten wurde. Dann im Sozialausschuss, zuständig für „Gruppenspezifische Probleme der Ausländer.“ Das waren in erster Linie Sprachschwierigkeiten, soziale Probleme aller Art und vor allem Mobbing am Arbeitsplatz. Schon in den achtzigern hieß es bei der IG Metall: Mach meinen Kumpel nicht an, die Gelbe Hand. Und dann kam ich in den Personalausschuss, auch zuständig für Einstellungen und Entlassungen. Wir konnten vielen Kollegen helfen.
Der, der das hier aufgeschrieben hat, hat mich gefragt, welche Erfahrungen ich mit herablassenden Anfeindungen gemacht habe. Ich habe ihm geantwortet, dass ich darüber nicht sprechen möchte. Wer will schon gerne Opfer sein.
VW war ein sehr sozialer Arbeitgeber. In dieser Zeit entstand die Idee, sich mehr sozial zu engagieren, auch in meiner Freizeit, ehrenamtlich. So haben ich und meine Freunde und Kollegen Spenden gesammelt für die Erdbebenopfer von Erzincan. Wir haben eine Gesellschaft gegründet, um türkische Familien mit behinderten Kindern zu unterstützen, auch Aufklärung betrieben. Herbert Schmalstieg war sogar unser Schirmherr. Für Bedürftige und Behinderte und auch mit Unterstützung einer Krankenkasse wurden so ausrangierte Rollstühle in die Türkei zum „Türkischen Halbmond“ geschickt, auch direkt an Bedürftige.
Und heute noch bin ich Ehrenvorsitzender von „Türkei Sport Garbsen“ mit Spielern aus vielen Ländern.
Als Rentner jetzt sitze ich im türkischen Café bei Mehmet am Marktplatz in Garbsen. Und die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen kommen mit ihren Fragen und Sorgen und ich helfe beim Übersetzen von Behördenschreiben, gehe mit zum Arzt und zum Amt. Neulich hat einer sein Portmonnee verloren mit vielen Karten drin. Da haben wir jede Menge Briefe geschrieben und telefoniert.
Als ich die Türkei verließ vor 50 Jahren, musste ich meine Katze zurücklassen. Heute habe ich 4 Katzen und singe im türkischen Chor.
Mehmet
Ich war Kind und Schüler in Bulgarien, als Türke, Schüler, Lehrling und Soldat in der Türkei, Kfz- Mechaniker und Taxifahrer in Deutschland: Zwei Ehen, drei Kinder, vier Enkel. Ein bewegtes Leben.
Ich bin integriert und akklimatisiert. Und seit 41 Jahren habe ich einen deutschen Pass. Ich habe 45 Jahre gearbeitet, höre Beethoven, gehe zu 96, liebe die deutsche Höflichkeit und Millimeterarbeit - und die Natur, beherrsche die kyrillische Schrift, bin am Ufer der Donau aufgewachsen und habe mit meiner Frau meinen Vater bis zu seinem Tod gepflegt.
Meine Mutter ist in Bulgarien gestorben, während eines Verwandtenbesuchs dort, „die Erde hat sie gezogen“ wie man so sagt. Sie war Bäckerin hier in der Stadthalle Hannover, mein Vater Maler und in der Fabrik bei Schmalbach.
Meinen ersten Job hatte ich 1965 bei Kögl, in Bruchsal, Anhängerbau, kennen alle. Mein bester Freund hatte einen Käfer, mit dem sind wir nach Hannover gefahren, mal umschauen. Bei Coca Cola haben wir eine Cola getrunken. Am nächsten Tag habe ich dort als Mechaniker im Fuhrpark angefangen, geschlafen im Obdachlosenheim die erste Zeit für 2 Mark die Nacht. Dann war ich Heizungsbauer bei Ofenkuttner und dann bis zur Rente Taxifahrer, mit eigenem Auto.
Mehmet ist der türkische Name für den Propheten, aber die Türkei war damals doch streng muslimisch. Mein Vater zog es zurück dorthin, aber er hatte sich wohl getäuscht. 1964 sind wir dann nach Deutschland.
Ich habe keine Angst vor dem Alter. Ich fahre täglich eine Stunde mit dem Fahrrad. Das hält fit!
Ömer L.
1974 bin ich nach Deutschland gekommen. Weil ich 16 wurde, zu meinem Vater. 2 Jahre habe ich mit ihm in einer Wohnung gewohnt. Wohnen müssen. Immerhin konnte er gut kochen, Köfte vor allem. Nach drei Monaten musste ich wieder zurück, dann wieder nach Deutschland für drei Monate. Dann durfte ich bleiben, da mein Vater genug verdiente. Ein Mindestverdienst musste sein und galt als Bedingung dafür, für immer bleiben zu dürfen. Mein Vater war Maler und hat in der Fabrik bei Schmalbach gearbeitet, meine Mutter als Bäckerin hier in der Stadthalle Hannover.
Deutsch habe ich damals in der Volkshochschule gelernt. Mittlerweile geht es ganz gut. Und dann gleich gearbeitet, bei Wabko im Lager, als Lagerist, Waren an die Bänder verteilen zur Montage. Wapko baut Federungs- und Bremssysteme für Nutzfahrzeuge.
Jetzt bin ich endlich Rentner. Und so ein Leben ohne Arbeit und ohne Stress ist nicht schlecht. Ich frühstücke ausführlich mit meiner Frau, bin dann viel unterwegs, treffe Leute hier und dort, da ein Kaffee, hier ein Tee. Abends schaue ich dann fern, politische Debatten gerne, Politthriller auch. Und Fußball. Galatasaray. Ich finde diesen Verein gut, er baut Schulen im Stadtteil und jetzt auch eine richtige Universität.
Ich bin froh, dass ich hier leben kann. Nichts zieht mich in die Türkei zurück, momentan vor allem aus politischen Gründen. Es gibt in Aydin, da wo ich herkommen keine Solidarität mehr. Meine Verwandtschaft dort hat ihre eigenen Probleme. Manchmal bin ich dort einige Zeit, um meine alte Mutter zu unterstützen. Aber manchmal wird es mir auch zu lang dort.
Ich will nicht alt sein, nicht, dass ich meine Kinder um mich kümmern müssen, aber ein Altersheim wäre die Hölle für mich. Ich freue mich nicht drauf, alt zu werden, wirklich nicht.
Ich weiß nicht, was da auf mich zukommt.
Rosa (Enkelin) *2000
Mein einer Opa hieß Hasan. Ich habe ihn nicht mehr kennengelernt und weiß eigentlich wenig über ihn, in der Familie wurde nicht viel über ihn gesprochen. Auch nicht Oma und Mamas Schwestern und Cousinen. Und wenn, sprechen sie so über ihre Männer: schwer von Begriff, linkisch, langsam und ohne Talent. Bekommen ohne ihre Frauen nichts hin.
Naja.
Die Männer dagegen waren reden nicht gewohnt. Als sie noch Jungen waren, hatten sie meist gehört: Du bist ein Mann, ein Mann kümmert sich um die Familie, schützt die Familie, ein Mann redet nicht, schon gar nicht über Probleme.
Naja.
Ich hörte nur mal, dass Opa Hasan bei Familientreffen – und es gab viele Familientreffen in unserer Familie – den Entertainer gegeben haben soll, immer witzig war und unterhaltsam. Der andere Opa hieß Turan. Ihn kenne ich noch weniger, er blieb in der Türkei und ich habe ihn nur als Kind mal im Urlaub dort getroffen.
Ich heiße Rosa, der zweite Name ist Berfin. Rosa wegen Rosa Luxemburg und Berfin für das Kurdische: Schneeflöckchen. Ich bin gut in Sprachen und sprinte über 100 m in 13 Sekunden. Ich bin genervt, wenn mich jemand fragt, wo ich wirklich herkomme. Aber eigentlich bin ich stolz auf meine „Gastarbeiter“-Familie. Und ich bin fest davon überzeugt, dass die Gastarbeiter:innen mit ihrer harten Arbeit dieses Land zu einem schöneren, besseren Ort machten. Deutschland ist auch ihre Heimat. Sie haben dieses Land mit aufgebaut. Nicht nur mit aufgebaut, auch mit geprägt. Sie haben es herausgefordert, sprachlich, kulturell und menschlich. Das war nicht immer leicht, für beide Seiten nicht, aber es hat beide Seiten vorangebracht.
Als das in Hanau passierte, war ich doch geschockt, waren schließlich ja auch meine Leute. Gökhan, Sedat, Said, Mercedes, Hamza, Vili, Fatih, Ferhat und Kaloyan. Geschockt war ich auch, als meine Mitschüler mich so anschauten: Nimm es nicht so schwer, sagten sie. Habe ich aber doch. Waren schließlich meine Leute. Aber doch auch ihre.
Tülay Dogan, Altenpflegerin
Den Ehemann im Alter zu pflegen, ist für die Ehefrau selbstverständlich. Aber wenn Opa dann doch ins Altersheim gehen muss, schämen sich alle. Vor allem natürlich schämt sich Opa, der sich abgeschoben fühlt und ohnmächtig und längst nicht mehr der ist, der das Sagen hat. Denn Alt sein ist Arbeit. Der tägliche Kampf mit dem Körper, der nicht mehr so will, wie er mal konnte. Der Sohn schämt sich, weil seine Frau arbeiten gehen muss oder will und sich nicht um Opa kümmern kann, in der kleinen Wohnung. Die Tochter schämt sich, weil sie arbeiten gehen will oder muss, und sich nicht um Ihren Schwiegervater kümmern kann oder will. Beide gehen ja arbeiten. Aber auch, weil sie beide ihr eigenes Leben leben wollen.
Trotzdem: Der erste Pflegedienst heißt Familie. Wir wünschen uns doch alle, im Alter aufgehoben zu sein im Kreis der Lieben. Die Versorgung der Alten in muslimischen Familien ist Familiensache und sollte es möglichst auch bleiben. In der Sure 4,37 heißt es: (türkisch) Güte den Eltern, den Verwandten, den Weisen und den Bedürftigen.
Deswegen ist ambulanter Pflegedienst so bedeutsam und gefragt, um die Familienmitglieder bei der Pflege alter Menschen zu unterstützen. Und die werden hier mehr. Es ist ja der Jahrgang aus den 50ern, die in großer Zahl als Gastarbeiter nach Deutschland kamen und blieben. Und nun in einem fremden Land alt werden und pflegebedürftig. Vielen Senioren ginge es in der Heimat gesundheitlich besser. Warum zahlt deren Pflegeversicherung nicht auch in der Türkei dauerhaft? Aciyan cok ama ekmek veren yok. Jeder zeigt Mitleid, aber Brot gibt keiner.
Yasar C.
Mein Name ist Yasar. Yasar bedeutet so viel wie der lange lebende! 49 Jahre habe ich in Deutschland als Fabrikarbeiter gearbeitet, zuerst 10 Jahre in einer Eisenbaufirma in Delmenhorst und dann 39 Jahre bei Continental, Reifen gewendet. Als ich jung war, wäre ich gerne Mathematiker geworden.
Mit 28 Jahren bin ich nach Deutschland gekommen, aus E. 1969, alleine. Erst 10 Jahre später konnte meine Frau nachkommen. Heute bin ich 80 Jahre alt. Und habe ein Enkelkind
Meine Kinder? Sie haben alle Möglichkeiten. Ob sie sie nutzen werden?
Vormittags gehe ich einkaufen, nachmittags in die Alevitische Gemeinde, Tee trinken und Karten spielen, Rummikub. Abends gucke ich fern, türkische Filme.
Nein, deutsche Freunde habe ich nicht. Manchmal treffe ich Walter am Kiosk, der war auch mal bei Continental.
Ich lebe jetzt seit 50 Jahren in Deutschland. Ob ich integriert bin? Ich weiß nicht was das ist. Manchmal schäme ich mich ein wenig, da ich so wenig Deutsch spreche. Ich hatte nie Zeit, ich habe immer nur gearbeitet. Meine Nachbarn sind alle Türken. Aber ich lebe hier lieber als in der Türkei, alles ist hier ordentlich und zivil und ich hatte Arbeit.
Ich habe keine Angst vor dem Alter. Man kann dem Tod schließlich nicht davonlaufen. Vielleicht muss ich in ein Altersheim, vielleicht nehmen mich meine Kinder auf. Aber das müssen die selbst entscheiden, ich werde sie nicht drängen. Ich weiß nicht, was besser wäre. Wenn man älter wird, achtet man vielleicht ein wenig mehr auf den anderen.
Z., Ali *1938
Mein langes Leben bis heute ist kurz erzählt. Nach der Schule habe ich in Istanbul Fahrkarten kontrolliert im Stadtbus. Dann 2 Jahre Soldat, den ganzen Tag marschieren, LKW fahren, und sich langweilen. Zum Glück kannte mein Vater einen General. So kam ich nach Istanbul und konnte am Abend zu Hause sein. 1972 bin ich nach über Österreich nach Deutschland gekommen. Es gab eine gründliche medizinische Untersuchung, so richtig, so mit Zähne zählen und Finger in den Arsch, einmal in der Türkei noch, gleich noch einmal in Deutschland.
Dann war ich LKW-Fahrer – ich habe alles transportiert, Steine, Öl, Möbel, eben alles. Dann war ich Gießereiarbeiter, Schichtführer, Elektrotechniker, Busfahrer, und Punktschweißer. Ich habe immer eine Stunde mehr gearbeitet und immer weniger Pause gemacht und jede Überstunde genommen. Deutsch lernen? Wieso? Ich wollte arbeiten und Geld verdienen! Es ist schwer, wenn man die Sprache nicht gut spricht. Ein Arzt hat mir mal was erklärt. Ich habe es nicht verstanden, mich aber nicht getraut, das zu sagen. Immerhin lebe ich noch.
Ich kann: LKW fahren, Autors reparieren – ich liebe Opel – und Bohnen kochen. Acht Stunden habe ich mal im Gefängnis gesessen. Als LKW-Fahrer wurde ich angehalten: der Verkehrspolizist: „Sie sind zu schnell gefahren“! Ich: „Sehen Sie doch auf meinen Fahrtenschreiber, ich bin nicht zu schnell gefahren“: Der Verkehrspolizist „Sie haben schwarze Haare“! Und hat dann meinen Führerschein zerrissen, auch den Internationalen. Mein Chef von der Firma Wanko hat mich dann da rausgeholt.
Mein größter Verdienst ist, dass meine Kinder studiert haben. Ich habe alles erreicht, ich habe alles richtig gemacht. Später mal bekommt jedes meiner drei Kinder eine Wohnung. Darauf bin ich stolz. Emre ist bei Telecom in der Personalabteilung, Gülcan – das bin ich - unterrichtet als Ärztin an der Medizinischen Hochschule und hält Vorträge über die alevitische Religion. Und Handan studiert noch in Frankfurt. Was genau, habe ich nie verstanden. Der, der das hier aufgeschrieben hat, hat mir gesagt, Philosophie. Kann man damit Geld verdienen?
Ich habe nie daran gedacht, in die Türkei zurück zu gehen. Kein einziges Mal. Mir geht es gut hier, trotz Herzproblemen und Alltagsärger. Man passt auf sein Haus auf und auf seinen Garten und kümmert sich um die Enkel.
Früher als junger Mensch wäre ich gerne Arzt geworden, oder Anwalt, sich um Leute kümmern.
Falls ich eines Tages gepflegt werden müsste, könnte ich nicht zu meinen Kindern, Aber das erwarte ich auch gar nicht von ihnen. Sie werden ihre eigenen Probleme haben. Früher war das vielleicht noch üblich in der Türkei, dass die Großeltern noch in der Familie aufgenommen wurden und dort gepflegt wurden. Aber heute heiraten die Leute und gründen ihren eigenen Haushalt
Wenn ich mal sterbe, soll meine Asche in den Wind gestreut werden. Aber das darf man als Alevit nicht, deswegen denke ich eher an den Friedhof Altenbekener Damm. Den finde ich gut.