In meinem Pass steht, dass ich heute 75 Jahre alt bin. In Wirklichkeit bin ich zwei Jahre jünger. Mein Vater hat damals geschummelt, als er mich angemeldet hat im Meldeamt. Dann hat man es beim Militär leichter, weil man älter ist. Bei den Mädchen wurde das andersrum gemacht, wegen dem Heiratsalter. Wie viele andere ebenfalls.

1971 bin ich dann nach Deutschland, aus politischen Gründen. Ich wollte einfach keine Probleme bekommen, und der Weg nach Deutschland war einfach. In der Türkei hatte ich die Technikerschule in Trabzon besucht und konnte gleich in Braunschweig als Dreher und Fräser bei Siemens arbeiten, bis zur Rente.  Wenn was weh tut, weiß ich woher das kommt. Viele Jahre war ich auch Mitglied im Betriebsrat dort, habe mich vor allem um die Belange der ausländischen Kollegen gekümmert. Und natürlich brav SPD gewählt, wie auch die GHP in der Türkei. Das war Tradition in der Familie.

Heute lebe ich ein ruhiges und zufriedenes Rentnerleben in Peine mit meiner geliebten Frau Nermin, Schneiderin von Beruf. Sie kümmert sich um den Haushalt, ich bin handwerklich geschickt und kümmere mich um unser kleines Haus. Nur wenn es Fisch gibt, bin ich der Fischkoch, ob gebraten, gegrillt, gedünstet oder gekocht. Sehr gerne passe ich auf meine Enkel auf. Und am Abend, wenn der Fernseher läuft, lese ich Bücher. Historisches, Sachbücher meistens.

Die, die das hier aufgeschrieben hat, hat mich gefragt, ob ich mal dran gedacht habe, in die Türkei zurückzugehen. Das fragen mich eigentlich immer alle, als wenn sie wollten, dass ich zurückgehe.

In den 80er und 90er Jahren haben wir oft daran gedacht, zurück zu gehen. Es war immer eine Option. Die Anschläge in Solingen haben uns erschrocken. Aber auch die politischen Verhältnisse in der Türkei besserten sich nicht, Machtwechsel, Chaos, Militärputsche, Repressionen. Man machte sich ständig Sorgen um seine Angehörigen dort und war hin- und hergerissen. Insanin vatani dogdugu yer degil, doydugu yerdir , Heimat ist nicht da, wo man geboren ist, sondern da, wo man satt wird.